Das emotionale Erbe unserer Ahnen in uns

Wir erben von unseren Vorfahren nicht nur Geld, Baugründe oder die alten Kisten mit Kindheitsspielzeug, die seit Jahrzehnten im Keller der Vergessenheit stehen. Nein, wir erben vor allem die emotionalen Erlebnisse, Themen und Weltanschauungen unserer Vorfahren. Jedoch nicht so sichtlich erkennbar, wie das verstaubte Kinderspielzeug im Keller. Gerade an Allerheiligen und an speziellen Tagen, an denen im Kollektiv der Menschheit "Familienthemen" getriggert werden, spüren viele diesen unbewussten Einfluss. Eine nicht nachvollziehbare Melancholie, hochploppende Kindheitsängste, Erzählungen und Geschichten des Großvaters, eine nicht erklärbare Traurigkeit manchmal vielleicht sogar Bilder und Dia-Ausschnitte, die jedoch bewusst nicht aus dem eigenen Leben stammen. Ich selbst blickte im Traum heute Nacht durch die Augen einer Vorfahrin und spürte einen "Erinnerungsflash" von Gefühlen, die nicht von meinem Erleben herrühren. Für mich mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr. Jedoch immer wieder spannend, diese Vermischung des Erlebens zu erkennen. 

 

Der Umgang mit den Emotionen unserer Vorfahren:

Erster wichtiger Schritt ist es, klar unterscheiden zu lernen - was sind meine Gefühle und Wahrnehmungen und was sind die übernommenen Gefühle und Denkweisen meiner Vorfahren. Auch wenn ich beide in meinem Körper spüren kann, entwachsen sie nicht immer dem eigenen inneren Sein. Der eigene Forschungszweig der sog. "Transgenerationalen Traumatisierung" zeigt mitunter über Studien immer wieder deutlich, wie Nachkommen mit den Folgen eines Traumas von Vorfahren zu kämpfen haben und spezifische Verhaltensweisen zeigen, ohne jedoch von dem Trauma der Vorfahren bewusst gewusst zu haben. Ändert nichts, dass es "in den Zellen gespeichert ist" und diese Information auf die nächste Generation übergeht, wenn sie nicht vorher, ich nenne es hier mal pauschal "stimmig verarbeitet" wird. 

 

Die Aussage "Das nehme ich mit ins Grab" - ist eine "nette Idee", doch anstatt dass die belastenden Gefühle im Grab der Unwirksamkeit verschwinden, werden die emotionalen Muster und Angstmechanismen an die nächste Generation weitergegeben. Bis ein Nachkomme sich entschließt, diese zu lösen, zu integrieren, zu verändern und für sich stimmig weiterzuentwickeln. Systemisch zum Wohle aller. Doch vor allem für sich selbst und das eigene Glück. 

 

Der eine Aspekt ist die Wirkungsweise, das Unterscheiden und Integrieren der Gefühle und Erlebnisse unserer Vorfahren in uns. Das andere betrifft die erlebten Situationen und hemmenden Gefühle in uns, entstanden durch das Zusammenleben mit unseren Vorfahren. Die viel genannte Aussage "Du musst verzeihen"; "Du musst die Vergangenheit loslassen". 

Meine Erfahrung dazu ist - kognitives Verzeihen funktioniert nicht. Um etwas Loslassen zu können, braucht es zuerst die Integration aller Gefühle - auch derer, die vermeintlich vom eigenen Innen oder dem erlebten Außen "nicht erlaubt" waren. Wie Wut, Enttäuschung, Vorwürfe und Unzufriedenheit, Kontrollverlust und Ohnmacht. Es ist ein wesentlicher Bestandteil meiner täglichen Arbeit das Gegenüber in sich und in die eigene Tiefe zu führen, um all diese "unerlaubten" Gefühle zulassen zu können, Dinge für sich auszusprechen, zu betrauern, auch als kindliches Selbst die gefühlte Wut auf die Eltern eingestehen zu dürfen. Auch MEHR wollen zu können. Es anders gebraucht zu haben. Auch enttäuscht sein zu dürfen und sich all dies einzugestehen und gegebenenfalls zu betrauern. 

 

Erst wenn das Innerste seine eigene Position im Gefühlsdschungel gefunden hat, zum eigenen Erleben stehen kann ohne dass dies Anspruch auf kognitive und systemische Rechtfertigungen und Erklärungen hat, ohne Schuldzuweisungen, einfach den eigenen "Gefühls-Tatbestand" annehmen kann, dann findet Integration und Entwicklung statt. Und dann ist ein Verzeihen nicht mehr notwendig. Kann ich für mich aussprechen oder ein Ritual machen, wenn ich dies möchte, jedoch gibts keinen "Tatbestand der Emotionen" mehr. Da der/die Betroffene IN sich den Konflikt, die Verletzung, die Leere, den Übergriff bearbeitet und gelöst hat. 

Ich höre oft den Satz "Die Vergangenheit kann ich ja nicht ändern - was geschehen ist, ist geschehen" - nur kurz angesprochen - hier beginnt die Arbeit mit den inneren kindlichen Anteilen, die den "Raum" und das Mitgefühl bekommen sollten, das sie früher nicht erlebt haben. Und wenn sie dies nun heute bekommen, dann ändert sich alles. Veränderung und Auflösung von belastenden Erlebnissen ist jederzeit möglich. Auch wenn das kausale Geschehen 50 Jahre her ist. 

 

Es ist in Ordnung, auch wütend auf Vorfahren zu sein. Es ist nicht in Ordnung, ihnen die Verantwortung für das eigene Glück und die Entwicklung zuzuschieben. Jeder ist selbst verantwortlich für das, was er daraus macht. Denn auch die übernommenen emotionalen Kisten der Ahnen in uns sind lösbar und veränderbar. 

 

Warum ist mir dieses Thema so ein Anliegen?

Weil ich selbst, viele viele Jahre, bis zu dem Zeitpunkt des Erkennens der Wirkungsweise der Prägungen der Ahnen vor allem der Ahninnen in mir, ein Leben gelebt habe, welches nicht dem "Meinigen" entsprach. Ich suchte mir Männer aus, die nicht meinen wahren Bedürfnissen entsprachen, sondern der Prägung meiner Ahninnen. Ich legte ein Verhalten an den Tag, welches einer gesunden Frau nicht stimmig war, jedoch "vermeintlich logisch", da es über Generationen von Frauen meiner Ahninnen so vorgelebt und weitergegeben wurde. Ich kam von einem Mann über Jahre hinweg nicht los, obwohl ich kognitiv bewusst wusste, dass er "nichts" für mich ist und doch hielt mich eine magische Schnur gefangen. Damals nicht wissend und nicht erkennend woher diese Schnur stammte. Darüberhinaus spürte ich Ängste und Gefühle in mir, von denen ich glaubte, es wären die meinigen, doch wurde ich über meinen eigenen Weg und das immer bessere Erkennen und Verstehen der Wirkungsweisen der Ahnen in uns eines Besseren belehrt. 

 

Deshalb wünsche ich Dir umso mehr und gerade heute an Allerheiligen, dass Du die Wirkungsweisen und eventuell hemmenden Felder deiner Ahnen erkennst und sie für Dich transformieren kannst. Dass Du das Gute und Schöne von Ihnen dankend lächelnd in Deinem Herzen trägst, ihr Dir dienliches Wissen beglückt anwendest, ihre Fähigkeiten und Talente in Dir erkennst und zugleich noch mögliche offene Situationen, die Wut, Enttäuschung oder Ohnmacht auslösen, zulassen und vor Dir aussprechen kannst und sie dadurch beginnend transformierst. 

 

Alles Liebe,

Edith

Kommentar schreiben

Kommentare: 0